Woyzeck – Kritiken

„Endzeitstimmung auf der Müllhalde
Menschen ohne Zukunft: Thomas Goritzki inszeniert Büchners „Woyzeck“ am Stadttheater als radikales Sozialdrama
Thomas Goritzki, in Gießen für seine konsequenten und manchmal auch provozierenden Inszenierungen bekannt, hat sich diesmal Büchners »Woyzeck« angenommen, dem deutschen Sozialdrama schlechthin, und er zeigt eine Gesellschaft am Rande des Abgrunds, wie sie heutiger gar nicht sein kann.
Milan Pešl gibt mit seinem Woyzeck in Gießen ein Debüt nach Maß. Goritzki spart nicht mit Brutalität, zeigt sogar gleich zweimal eine schockierende Vergewaltigung – die von Marie und die von Woyzeck. In beiden Fällen ist der Tambourmajor der Täter, der als Mann seine Macht beweisen muss. Gunnar Seidel wächst in dieser Rolle schier über sich hinaus…
Ein trostloser, stinkender Ort vor den Toren der Stadt, an dem Marie vom Geschrei ihres Babys total genervt ist. Irina Ries legt in ihrer sensiblen Darstellung die Zerrissenheit dieser vollkommen überforderten jungen Frau anrührend offen, die Trost im Alkohol sucht, weil sie ihn weder in ihren Liebschaften noch in der Bibel finden kann.
Als nach 90 Minuten intensiven Spiels das Licht langsam ausgeht, weicht allmählich die Beklemmung und das Premierenpublikum spendete allen Beteiligten den verdienten, langen Applaus – Bravos für die beiden Hauptdarsteller inbegriffen.“
Gießener Allgemeine (Marion Schwarzmann), 21.09.20

„Büchner ohne Büchner zwischen Müll, Suff und Gewalt
Gastregisseur Thomas Goritzki verlegt „Woyzeck“ in Endzeit-Gesellschaft
So wenig Büchner war noch nie.
Irina Ries als Marie muss meistens aus der Bierflasche trinken und als überforderte Mutter ihr Baby anschreien. Die sich in die Länge hinziehende Mordszene ist nicht ohne Wirkung.“
Gießener Anzeiger (Thomas Schmitz-Albohm), 21.09.2009

„Gießener „Woyzeck“ setzt auf absolute Schonungslosigkeit
Schockierend, schonungslos, skandalös – mit diesen Begriffen kann man die aktuelle „Woyzeck“-Inszenierung von Regisseur Thomas Goritzki am Gießener Stadttheater, die am Samstagabend Premiere feierte, am Besten beschreiben.
Hier kämpft Jeder gegen Jeden, es geht um das nackte Überleben, die Menschen definieren sich nur noch durch sexuelle und körperliche Gewalt sowie den Alkohol. Der fließt auf der Bühne in Strömen, selbst Marie (Irina Ries) kann nicht von der Flasche lassen, während ihr Kind vor Hunger schreit… Es ist keine zarte Liebesgeschichte zwischen dem Tamburmajor (Gunnar Seidel) und Marie, keine heimliche Affäre. Es ist kein Liebesspiel, das auf der Gießener Bühne zelebriert wird, vielmehr ist es eine brutale Vergewaltigung,..
Als sei die Darstellung von roher Gewalt nicht schon genug, sind es die Darsteller, die dem Ganzen Nachdruck verleihen: Einer schreit lauter als der andere, einer versucht den Nächsten an Wahnsinn zu übertreffen. Zwar mag dies zunächst wirr und platt wirken, dennoch bekommt die Aufführung dadurch ein neues Maß an Intensität. Wer Büchners „Woyzeck“ zu kennen glaubte, der bekommt in Gießen eine völlig neue Facette gezeigt. Die Aufführung jedenfalls brennt sich tief in Kopf und Seele ein, geht unter die Haut und mag einen kaum noch loslassen. So kann und darf Theater sein: Schockiernd, aufrüttelnd und schonungslos.“
Gießener Zeitung (Sabine Glinke), 23.09.09

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